Das „Wunschkind von Folk und Grunge“ wird erwachsen

Sie wirken wie Jugendliche, die Party machen wollen, das Alternative-Rock-Quartett aus dem Norden Londons. Sie, streng zurückgekämmtes Haar, prominente Schlüsselbeinknochen, volle Lippen, umringt von ihren Jungs, die die Arme verschränken. Lederjacken knarzen und derbe Bikerboots trampeln über die Bühnenplatten, ein elektronisches Rauschen ist zu hören, dann Drumsticks.
Die Fans jubeln, Anspannung liegt in der Luft, schon am Anfang des Songs beginnen die Ersten zu tanzen.
Sie spielt auf der E-Gitarre. Schlagzeug, Bass und eine weitere Gitarre unterstützen sie. Dann ihre Stimme, Rufe im Publikum, Zeigefinger und Daumen, die Herzen formen, werden der zarten Frontfrau von „Wolf Alice“ entgegengestreckt. Sie lacht ins Mikrofon.
Mit ihrer ersten Single „Fluffy“ meldete sich das finale Line-up des Londoner Quartetts 2013 erstmals zu Wort in der britischen Musikszene und schweigt bis heute nicht still. Mit krachenden Gitarrensounds und eingängigen Riffs haben „Wolf Alice“ längst ihre Folk-Vergangenheit hinter sich gelassen. Auch die als Power-Pop bezeichneten blitzartigen Passagen, die auf dem ersten Album „My Love Is Cool“ zu finden sind, werden auf der 2017 erschienen LP „Visions Of A Life“ ersetzt.
Psychodelisch und abgespaced wirkt die Platte und ist eine erwachsen gewordene Form jener Jugendlichkeit, Aggressivität und Provokationsbereitschaft, die stets bei Liveauftritten der Band zu spüren ist. Dann brennt die Luft vor Spannung und das kindhafte Zarte der akustischen Versionen weicht der Punk-Power, auf die die Band setzt.
„Wir wollen unsere Zuschauer herumspringen sehen und ihnen eine gute Zeit geben“, sagt Bandkopf Ellie Rowsell. „Wir alle sind als Jugendliche zu Rockgigs gegangen, und es fühlt sich einfach so gut an, wenn Leute das jetzt auch zu unserer Musik tun.“
Mit all der Lebendigkeit, die „Wolf Alice“ versprühen, nahmen sie mich vom ersten Moment an gefangen. Nicht nur ihre musikalische Power, die aus Grunge und Punk mit Rock eine gerade richtige alternative Mischung ergibt und dem Begriff „ Alternative“ eine neue Facette verleiht, sondern auch die Texte verursachen Gänsehaut.
Von den Sorgen und Ängsten sowie Erwartungen, Hoffnungen und Träumen eines Twentysomethings handeln die Songs auf den Alben und zeigen auf eine genauso zarte wie beständige Weise, dass man als junger Erwachsener doch nur etwas durchlebt, das viele davor auch durchlebten.
„Wolf Alice“ bedeutet für mich nicht mehr Alleinsein und Anschlussfinden. Genauso wie ich es werde, wurden Ellie Rowsell, Joff Oddie, Theo Ellis und Joel Amey erwachsen. Vielleicht als das Wunschkind von Grunge und Folk, wie die Band betitelt wurde, aber trotzdem als junge Menschen, die irgendwo und irgendwie nicht ganz so verloren waren, wie sie dachten.

Katharina Schmitt, Klasse BvB, USS GmbH Öhringen